Das Souvenir des Mörders - Inspector Rebus 8

Originaltitel: Black and Blue

In den Sechzigern versetzte ein brutaler Frauenmörder namens „Bible John“ Schottland in Angst und Schrecken. Er wurde nie gefasst. Nun mordet ein neuer Killer nach demselben Muster. Für die Medien ist er „Johnny Bible“, für die Polizei ist er ein Albtraum. Inspector Rebus, der aufgrund seiner unkonventionellen Ermittlungsmethoden von dem Fall abgezogen wurde, soll eigentlich in Aberdeen dem gewaltsamen Tod eines Ölarbeiters nachgehen. Doch lange kann er die Finger nicht von der spektakulären Mordserie lassen. Was niemand ahnt: Nicht nur die Polizei jagt den geheimnisvollen Killer. Auch der alte Bible John hat seinen „unwürdigen“ Nachahmer ins Visier genommen ...

Vorwort zu
„Black and Blue (Das Souvenir des Mörders)“

Ende Dezember 1996. Nach sechs Jahren in Frankreich lebten wir wieder in Edinburgh. Wir hatten ein Haus gemietet, dessen Besitzer den größten Teil des Jahres in London lebten, es allerdings über Weihnachten selbst brauchten. Und so waren wir vorübergehend obdachlos. Das Weihnachtsfest hatten wir in Belfast verbracht, bei der Familie meiner Frau. Und Neujahr würden wir mit Freunden in Cambridge feiern. Eine Tante in Bradford konnte uns für ein paar Tage aufnehmen, ebenso mein Neffe in Lincolnshire. Nach Bradford kamen wir bei Freunden in der Nähe von York unter. Und während wir uns dort in ihrem Haus ausruhten, las ich in der Times die Vorankündigung einer Buchbesprechung. Sie lautete in etwa: „Der beste Krimi des Jahres 1997 ist bereits erschienen – nächste Woche verraten wir, wie er heißt!“ Mein neues Buch sollte Ende Januar ausgeliefert werden, also drückte ich mir die Daumen und kaufte am entsprechenden Tag die Times.

Der Rezensent war der bekannte Publizist und Dozent für Medienrecht Marcel Berlins; und der Roman, den er sich ausgeguckt hatte, war tatsächlich Black and Blue.

Und er sollte mit seinen Vorschusslorbeeren Recht behalten: Im folgenden November erhielt mein achter Inspector-Rebus-Roman als bester Krimi des Jahres 1997 den Gold Dagger Award. Dann kam er noch in die engere Auswahl für das amerikanische Gegenstück dieser Auszeichnung, den Edgar (benannt nach Edgar Allan Poe), den mir allerdings James Lee Burke vor der Nase wegschnappte. Dafür wurde Black and Blue noch mit dem dänischen Palle-Rosenkrantz-Preis ausgezeichnet. Später wurde der Roman sogar in den schottischen Schullehrplan aufgenommen, und ein Literaturwissenschaftler von der St. Andrews University veröffentlichte eine Monographie über ihn.

Also was zum Teufel war an Black and Blue so anders als an meinen früheren Büchern?

Nun, zunächst einmal sah das Buch anders aus. Mein Verlag, Orion, hatte für den Umschlag ein gruseliges Fotomotiv mit ein paar Bäumen verwendet und außerdem eine neue, auffällige Schrift gewählt, wodurch Black and Blue insgesamt schon nach mehr als einem bloßen Krimi aussah. Orion hatte außerdem eine Marketingoffensive für den Roman vorbereitet und bewarb ihn mit Plakaten und Anzeigen. Aber vor allem war das Buch meiner Meinung nach einfach umfangreicher und besser als meine bisherigen. Ich hatte das Gefühl, dass meine Lehrzeit jetzt abgeschlossen war. Es kam mir vor, als wären alle früheren Rebus-Romane lediglich Vorarbeiten zu diesem einen gewesen. Ich hatte den Aktionsradius meines Detectives nicht mehr auf Edinburgh und Umgebung beschränkt. Er fuhr nach Glasgow, nach Aberdeen und Shetland – ja sogar zu einer Bohrinsel, Hunderte von Meilen draußen in der rauen Nordsee. Ein großer Teil des Romans drehte sich um das Thema Erdöl, was mir erlaubte, den Niedergang und die Umstrukturierung der schottischen Industrie unter die Lupe zu nehmen. Und da man nicht über Öl reden kann, ohne die Politik ins Spiel zu bringen, wurde Black and Blue auch ein politisches Buch. Außerdem gewann Rebus an Statur. Ich setzte seinen Ruf, seine berufliche Zukunft und sein Leben aufs Spiel. Und ich verknüpfte mehrere Handlungsstränge miteinander und entwickelte verschiedene Nebenhandlungen, die sich um die eigentliche Geschichte rankten.

Als Hintergrund verwendete ich eine Serie unaufgeklärter Morde, die sich dreißig Jahre zuvor tatsächlich ereignet hatten, und ließ den realen Mörder als Figur in meinem Roman auftreten. Selbst jetzt, fast zehn Jahre später, halte ich das für einen gewagten Trick. Aber Bible John hat mich noch nicht wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte verklagt.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen – mit ein bis drei Flaschen Wein und einer Freundin aus Australien...

Die Freundin hieß Lorna. Sie war eine Kommilitonin von mir in Edinburgh gewesen, und wir hatten den Kontakt auch nach dem Studium nicht abreißen lassen. Sie lebte jetzt am anderen Ende der Welt, wo sie als Lehrerin arbeitete, kam aber gelegentlich nach Europa, um ihre Familie zu besuchen. Und sie verbrachte auch einmal eine Woche bei uns in unserer Bauernkate in Südfrankreich. Eines Abends, nach einem üppigen Essen und jeder Menge Wein, setzten wir uns aufs Sofa, und sie erzählte mir eine Geschichte. Etwas, das ihrem Bruder passiert war. Er hatte damals auf einer Bohrinsel gearbeitet und war zwischendurch zu einem Kurzurlaub nach Edinburgh gekommen. Dabei lernte er in einem Pub zwei Typen kennen, die sagten, sie würden gleich auf eine Party gehen. Wenn er Lust hätte, könne er gern mitkommen. Als sie schließlich eine verlassene Wohnung betraten, war er ziemlich schnell wieder nüchtern. Aber nicht schnell genug. Sie fesselten ihn an einen Stuhl, stülpten ihm eine Plastiktüte über den Kopf, schlossen sie ihm mit Klebestreifen um den Hals und verschwanden. Irgendwann schaffte er es, seine Hände zu befeien, die Plastiktüte aufzureißen und, nach Luft schnappend, zur nächsten Polizeiwache zu laufen. Die Beamten begleiteten ihn zu der leeren Mietwohnung, konnten sich aber nicht erklären, was passiert war. Er war nicht ausgeraubt worden; die Vorgehensweise der Verbrecher war den Polizisten noch nie untergekommen; es gab offenbar keinerlei Motiv für den Überfall ...

Lorna zuckte mit den Schultern und goss sich den letzten Rest Wein ins Glas. „Und das ist die Geschichte“, sagte sie. Aber ich wusste, dass es nicht so war: Es war lediglich der Anfang einer Geschichte. Die Sache ließ mir keine Ruhe. Ich musste herausfinden, warum das alles passiert war. Ich musste dem Zwischenfall irgendeinen Abschluss geben, selbst wenn das bedeutete, einen 500-Seiten-Roman darum herum erfinden zu müssen. Das erste Kapitel hatte ich schließlich schon, auch wenn ich nie erfahren habe, was Lornas Bruder von seinem fiktiven Alter Ego hielt …

Im Laufe seiner Entstehung hatte das Buch eine Reihe verschiedener Arbeitstitel, darunter „The Whispering Rain“ und „Dead Crude“, die ich am Ende als Zwischenüberschriften verwendete. Ich hatte Zeit für eine Reise nach Schottland gefunden und mir Aberdeen angesehen – allerdings nicht Shetland. Für die Szenen auf Shetland stützte ich mich auf Reiseführer. Ich kam auch nicht dazu, mit dem Hubschrauber auf eine Bohrinsel zu fliegen, fand aber die zweitbeste Lösung, nämlich einen Aberdeener Autor namens Bill Kirton, der etwas zu dem Thema geschrieben hatte und mir alle nötigen Details lieferte, um Rebus’ Trip in einem „Kerosin-Wellie“ realistisch schildern zu können. Die Erdölgesellschaften begriffen möglicherweise etwas spät, dass ich in einem Kriminalroman wohl nicht gerade ihr Loblied singen würde, und knauserten nicht mit bunt bebilderter „Informationsliteratur“. Ich war in einem kleinen Bergarbeiterort aufgewachsen, wo die Leute Kohle als „schwarze Diamanten“ bezeichnet hatten. Erdöl wiederum war das „schwarze Gold“, und um die enorme Bedeutung dieser Industrie zu verdeutlichen, beschloss ich, dass der endgültige Titel des Buches das Wort „schwarz“ enthalten musste. Nun, meinen letzten Roman, Let It Bleed (Ein eisiger Tod), hatte ich nach einem Album der Rolling Stones benannt, und wie es sich traf, gab es von den Jungs ein weiteres Album mit einem genau passenden Titel: Black and Blue – „schwarz“ für das Erdöl und „blau“ für die Bullen (die „Jungs in Blau“ der modernen Folklore). Außerdem wurde Rebus im Laufe des Buches wenigstens einmal black and blue (d.h., „grün und blau“) geschlagen.

Ich hatte meinen Titel.

Eine weitere Zutat hatte allerdings bis dahin gefehlt – Wut. Mein Sohn Kit war im Juli 1994 auf die Welt gekommen. Während Mirandas Schwangerschaft hatte es keinerlei Anzeichen für irgendwelche Probleme gegeben. Doch als Kit drei Monate alt war, fragten wir uns, warum er sich so wenig bewegte. Drei Monate später machte sich auch unser französischer Hausarzt allmählich Sorgen, und als Kit ungefähr neun Monate alt war, wussten wir, dass er ernsthaft krank war. Es folgten lange Autofahrten zweimal die Woche zum nächsten Kinderkrankenhaus, wo man alle möglichen Tests mit ihm anstellte. Dann noch längere Fahrten nach Bordeaux in die dortige Kinderklinik. Leider war mein Französisch nie so gut wie das von Miranda, und so kam ich jedes Mal mit mehr Fragen als Antworten von diesen Fahrten zurück. Ich war frustriert, weil ich mich nicht richtig verständlich machen konnte, und wütend über den schlechten Scherz, den Gott sich mit uns zu erlauben schien. Dann kletterte ich die wackelige Holzleiter hoch und stieg durch die Luke auf den spinnwebverhangenen Dachboden unseres alten Bauernhauses. Da oben war nichts außer einem Computer, ein paar Stadtplänen und Fotos von Edinburgh. Ich versuchte, wieder in das Buch hineinzukommen, an dem ich gerade arbeitete – das Buch, das schließlich Black and Blue werden sollte. Und plötzlich hatte ich wieder die Kontrolle, wenn auch nur über ein fiktives Universum. Ich konnte Gott spielen. Ich beherrschte die Sprache. Und ich benutzte Rebus als Sandsack, ließ physische und psychische Schläge auf ihn einhämmern. Dadurch wurde Black and Blue härter als alle meine bisherigen Romane – und das Buch diente mir auch als Ventil.

Außerdem konnte ich mir mit dem Roman einen Wunsch erfüllen: Als Greenpeace in Kapitel 13 für ein Konzert in Aberdeen eine weltbekannte Band braucht, engagieren sie nicht U2 oder REM, sondern die Dancing Pigs. Die Dancing Pigs, müssen Sie wissen, war meine Band, die Band, in der ich mit neunzehn gesungen hatte. Im wirklichen Leben haben wir uns nach einem knappen Jahr wieder aufgelöst und es in der kurzen Zeit unseres Bestehens auch zu nichts Rechtem gebracht. Aber in dieser Parallelwelt machten wir endlich Furore.

Und das ist schließlich ein ebenso guter Grund wie jeder andere, einen Roman zu schreiben.

Ian Rankin
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini

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